Hinter verschlossenen
Türen
Das Projekt »Hinter verschlossenen Türen« ist eine Virtual-Reality-Anwendung mit dem Ziel, Entscheidungsträger:innen am Arbeitsmarkt für das Thema Ausgrenzung am Arbeitsplatz zu sensibilisieren. Dazu wurden sechs verschiedene Räume entwickelt, in denen die Anwender:innen erfahren, wie sich Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, Behinderung, Religion und Herkunft anfühlen kann. Anschließend sollen die Anwender:innen über den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Thema Diskriminierung am Arbeitsmarkt aufgeklärt werden.
Zeitraum
10/2017 – 09/2019
Rolle
Konzeption
UX / UI Design im Team
Tools
Adobe Illustrator
Adobe After Effects
Adobe Premiere
Typeform
Unity
Cinema 4D
UX Methoden
User Interviews
Storytelling
User Flow
User Journey
Prototyping
User Testing
Visual Design
RESEARCH
In der Research Phase war die Herausforderung für uns Gestalterinnen sich inhaltlich mit den zwei verschiedenen Themen wissenschaftlich auseinanderzusetzen und die Gemeinsamkeiten der beiden Forschungsarbeiten herauszuarbeiten. Dies gelang uns regelmäßigen Brainstormings mit den Wissenschaftlerinnen.
Bei der Recherche stellten sich zunehmend Stichpunkte heraus, die uns wichtig sind und für die spätere Umsetzung der Arbeit einen inhaltlichen Rahmen geben.
Neben zahlreichen Studien halfen uns in der Recherchephase auch der Implizite Assoziationstest (IAT) der Havard Universität. Bei dieser Methode werden die Unterschiede zwischen bewusster und unbewusster Diskriminierung aufgezeigt.
Ein weiteres interessantes Experiment um vorurteilsbehaftete Denkmuster zu hinterfragen und aufzuzeigen ist das Blue Eyes –
Brown Eyes Experiment von Jane Elliot. Die Lehrerin unterteilte ihre Klasse in Blauäugige und Braunäugige. Sie machte den zwei Gruppen klar, dass die eine Gruppe der anderen überlegen war und diese daher mehr Privilegien besaß. Sie beobachtete, wie die Schüler innerhalb von kurzer Zeit ihre propagierten Stereotypen übernahmen und wie die »unterlegene« Gruppe diskriminiert wurde.
HERAUSFORDERUNG
Nach der Recherche wollten wir ein Produkt erschaffen, was für die Entscheidungsträger:innen in Personalverantwortung ist. Für den Einstieg legten wir drei Hauptkriterien fest, die uns bei der Suche nach einer adäquaten Umsetzung des Themas behilflich sein sollte.
Aufklärung
Sensibilisierung
Selbsterfahrung
RESEARCH INTERVIEWS
Wir führten mehrere qualitative Interviews mit Menschen, die von Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind, durch. Dabei war es uns wichtig, welche Erlebnisse sie schon hatten und was sie dabei gefühlt haben. Diese Interviews führten wir in Berlin vor der Amerika-Gedenkbibliothek durch.
Neben den Interviews vor Ort schrieben wir auch online verschiedene Facebook Gruppen an, die sich für die Rechte von diversen Personengruppen einsetzen. Ebenfalls wurde ein Plakat gestaltet, welches bei verschiedenen Organisationen aushing. Hier verlinkten wir unseren Onlinefragebogen auf Typeform.
Wurden Sie schon einmal im Bewerbungskontext oder im Arbeitskontext ausgegrenzt, diskriminiert oder benachteiligt? Wenn ja, können Sie mir kurz erzählen, was die Geschichte dazu war?
Welche Gefühle haben Sie dabei empfunden?
AUSZUG AUS DEN INTERVIEWS
»Wenn man als Schwarzer Mann trotz sehr guter Qualifizierung nach einem Vorstellungsgespräch für den Manager Posten nicht genommen wird, stellt man sich immer die Frage: Liegt es an der Hautfarbe?«
»Drei weibliche Spezialistinnen in der IT-Sicherheit wurden lange nicht für ernst genommen.«
»In einem Bewerbungsgespräch wurde mir direkt gesagt, dass ich in dem Laden (Wohndekor) nicht arbeiten darf, weil ich ein Kopftuch trage.«
»Bei einem Bewerbungsgespräch auf eine Halbtagsstelle wurde ich gefragt: ›Warum eine Halbtagsstelle, ob sie den jetzt vor hat schwanger zu werden?‹ Hätte man das auch einen Mann gefragt?«
»Ich hab als Manager in einem Restaurant gearbeitet. Ein Gast wollte sich beschweren und den Manager sprechen, er wird von einem Mitarbeiter geholt und der Gast hat mich angeschaut, um mich herum geschaut und dann sagt, als er mich gesehen hat: ›Es hat sich dann erledigt.‹ Warum, weshalb? Er hat vielleicht eher einen deutschen weißen Chef erwartet.«
VR-STORYTELLING / STORYLIVING
Wie kann man immersive Geschichten so erzählen, dass sie uns nachhaltig beeinflussen können? Auch hier ist ein klassischer dramaturgischer Aufbau, die eine Handlung in fünf Akten mit einem Spannungsbogen beinhaltet, bestens geeignet. Doch statt passiv zuzuschauen, soll der User aktiv im Geschehen dabei sein. Der Aufbau mit auslösendem Ereignis, Held:innen und Widersachern, Zielen, Konflikten, Hindernissen und Erkenntnissen immer noch einer der besten Mittel. Er durchlebt die einzelnen Geschichten und scheitert an denselben Punkten – sowie Betroffene an dem Erfolg auf dem Arbeitsmarkt scheitern anhand von den impliziten Vorurteilen, die andere auf sie projizieren.
Im Anschluss nach diesen auslösenden Ereignis trifft der:die Nutzer:in auf eine:n Betroffene:n, der ihm von seiner persönlichen Erfahrung erzählt. Anschließend wird diese persönliche Erfahrung mit einer Studie untermauert. Nachdem alle Räume erkundet wurden, kann ein Perspektivwechsel vollzieht werden und durch aktive Zivilcourage verhindert werden, dass jemand von einer Gruppe ausgegrenzt wird. So durchlebt er:sie diese Reise zum Schluss als Heldenreise und geht mit neuen Erkenntnissen aus der VR-Erfahrung heraus.
DRAMATURGIE
Der Aufbau der App erfolgt nach einem klassischen dramaturgischen Spannungsaufbau.
1. Akt Hauptraum, Auswahlmöglichkeiten der Türen
2. Akt Aktionsraum mit misslingenden Aktionen
3. Akt Betroffener mit persönlicher Geschichte
4. Akt Studien, die ein strukturelles Problem belegen
5. Akt Raum mit Perspektivwechsel
NARRATION
Bei der Erstellung der Story für die VR-Anwendung mussten wir mehrere Iterationen bei der Sammlung und Erstellung der Geschichten durchführen. Wir arbeiteten hierfür in sechs Schritten.
USER FLOW
Hauptraum (HR) > Aktionsraum (G, B, R, A, SI, EH) >
Geschichtenraum (G) > Aufklärungsraum (HR) >
Perspektivwechsel (PW)
NAVIGATION
Durch einfache Navigationselemente mittels physischen gehen, Vibration des Controllers und Partikeln, die aus den aktivierten Türen kommen, kann der User sich durch die Welt navigieren.
HAUPTRAUM
Auftakt des Erlebnisses, der:die Nutzer:in kommt in einen »White Space«. Er:Sie wird motivierend und freundlich begrüßt und ihm:ihr wird vermittelt, dass ihm:ihr »alle Türen offen stehen«.
AKTIONSRAUM
Alle Aktionsräume sind nach dem gleichen Prinzip gestaltet. Sie haben keine Grenzen, – der Nutzer ist von Schattierungen der jeweiligen Farbe umgeben. Die grenzlose Freiheit, die der Raum visuell vermittelt, steht im Gegenzug zu dem vorprogrammierten Scheitern der interaktiven Handlungen.
GESCHICHTENRAUM
Um die Aufmerksamkeit nicht von der Person abzulenkenden, ist die Umgebung und der Controller im Geschichtenraum schwarz. Dies gewährleistet uns, dass der:die User:in seine:ihre volle Aufmerksamkeit der Geschichte widmet.
Nach der fertigen Geschichte erscheint rechts hinter dem Schauspieler eine Tür mit weißen Konturen, die die gleiche Ästhetik aufweist wie die Türen im Hauptraum.
AUFKLÄRUNGSRAUM
Die Studien werden jeweils nach Beendigung einer Handlungsschleife in den einzelnen Räumen abgespielt. Sie sollen noch einmal unterstreichen, dass die erzählte Geschichte der Person kein Einzelfall ist, sondern es sich um strukturelle Diskriminierung handelt.
Der Stil der Studien lehnt sich an die reduzierte Gestaltung des Hauptraumes an.
PERSPEKTIVWECHSEL
Die letzte Szene mit dem Rollenwechsel bietet einen Ausweg aus den unangenehmen Emotionen und hilft das Gefühl der Hilflosigkeit zu überwinden, das im Laufe der VR-Erfahrung entstand.
Indem man einen Anderen hilft und sich ihm:ihr zuwendet, – sei es nur eine abstrakte Form (was kein Hindernis für Empathie ist) – bildet sich eine Brücke zur Realität, wo man hoffentlich Entscheidungen trifft, die das Leben der anderen positiv beeinflussen.
NOMINIERUNG UND AUSSTELLUNG
Das Projekt »Hinter verschlossenen Türen« wurde auf der wissenschaftlichen Konferenz »Falling Walls – 2020« in der Kategorie »Social Sciences and Humanities« nominiert.
Ebenso wurde es im Rahmen der Wissensstadt Berlin 2021 im Namen des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ausgestellt.